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7. Kapitel

Wislaw und Witzlaw
– eine märchenhafte Rügener Geschichte –

von Jens Ruge, Hamburg

Kapitelübersicht:
1 Der freche Greif oder Ohne Witzlaw wäre alles sooo schön einfach!
2 Brautwerbung am Königshof oder Sonnige Aussichten für Wislaw
3 Der Weg in die Zukunft oder Unter der Last der Vergangenheit
4 Entscheidung auf dem Rugard oder Der falsche Alexander
5 Dem Tod entronnen oder Schicksalsschlag in Riga
6 Minnesang und Ritterspiel oder Die Hochzeit von Rujana
7 Titel 1 oder Titel 2

Der Weg in die Zukunft
oder

Unter der Last der Vergangenheit

Wislaw und Satko weilen nun schon zwei Wochen am dänischen Königshof auf Burg Vordingborg. Erik, der König, ist gerade mal vierzehn Jahre alt und untersteht noch der Vormundschaft seiner Mutter Agnes und des Schleswiger Herzogs Waldemar, denn vor zwei Jahren wurde sein Vater Erik, genannt Klipping, auf einer Jagd von Verschwörern ermordet. In diesen ganzen Wirren kam auch Margarete, die aus einer Seitenlinie der königlichen Familie stammt, an den Hof, um dort Schutz zu finden.

Am heutigen Tag sitzen der Prinz und sein Schildknappe gerade bei einer Runde Wurfzabel. Satko lachend: „Jetzt habe ich Euch schon wieder besiegt! Damit das nicht immer wieder passiert, bitte ich Euch, mir das andere Spiel beizubringen, das königliche. Dort kommt es doch auf Klugheit an und weniger auf Glück, und Ihr seid darin ja ein Meister.” „Schön, Satko, dann fangen wir am besten gleich einmal damit an. Denke aber immer daran: Es braucht seine Zeit, bis du alle Kniffe kennst. Du musst Geduld dabei haben. Aber dieses Spiel zu erlernen, ist auch wichtig für dich als Knappe und später dann als Ritter. Denn es zu beherrschen, ist eine der ritterlichen Tugenden. Du lernst zum Beispiel dabei vorausschauend und manchmal auch um die Ecke zu denken, damit du zu einer Lösung gelangst.” Beide setzen sich in eine andere Fensternische, dorthin, wo sich das Brett für das Schachzabel befindet.
Wislaw übt bereits mit Satko die Grundzüge des Spiels, als Herzog Waldemar dazu tritt: „Herr Wislaw, ich würde Euch gern zu einem Spiel herausfordern! Zum nächsten Glockenschlag? Wäre Euch das recht?” „Mit Vergnügen, hoher Herr. So kann mein Knappe auch gleich etwas dabei lernen.” „Habt ihr in Eurem Land nicht sogar einen Namen dafür, wenn jemand bei einem Spiel zuschaut?” „Ja, Herr. Es heißt 'cziwitat' und kommt von dem Vogel Cziwitka, Kiebitz. Vor allem nennen wir das so, wenn jemand etwas unerlaubt sehen will.” Wislaw lacht.

Wislaw spielt Wurfzabel mit Satko und Schachzabel mit Herzog Waldemar

So sitzen nun der schleswigsche Herzog und der rujanische Prinz am Schachzabeltisch. Ja, Wislaw spielt dieses Spiel sehr gern. Es ist wie das Abbild der Welt. Und auch hier ist für ihn das Höchste die Dame, die stärkste Figur auf dem Brett. Doch seine Lieblingsfigur ist der Ritter. Mit ihr kann er die einfallsreichsten Züge machen und das reizt ihn.

Genau in dem Moment, als Wislaw einen der beiden weißen Ritter - oder besser gesagt, den Kopf dessen Pferdes - in der Hand hält, um diesen zu ziehen, spricht ihn der Herzog an: „Herr Wislaw, was wisst Ihr eigentlich über Euren Großvater, den Fürsten Jaromar, den zweiten dieses Namens? Wisst Ihr, was damals in Dänemark war?” „Edler Herzog, ich habe ihn nicht mehr kennengelernt. Ich weiß nur das, was in meiner Familie über ihn erzählt wurde: Dass er zwei unserer Städte das Lübische Recht verliehen und mehrere Klöster der Bettelorden gegründet hatte, und, dass er überhaupt ein großer Streiter für die Kirche war. Bei einem Kriegszug aufseiten des Erzbischofs gegen das Königsheer ist er 1260 umgekommen. Verzeiht, hoher Herr, dass ich nicht viel mehr über ihn sagen kann.”
„Und ihr habt nie nachgefragt?” Wislaw hebt bedauernd die Hände. „Nun denn, dann berichte ich Euch jetzt von den Schandtaten Eures Ahnen. Ja, er hat zusammen mit dem Erzbischof und dem Bischof von Roskilde gegen den König und dann gegen die Königswitwe Krieg geführt. Vor allem hat er aber gegen die Menschen hier Krieg geführt! So sehr, dass noch heute Bettler, gibt man ihnen ein Almosen mit der Fürbitte um Seelenheil für den blutigen Jaromar, dieses empört ausschlagen!”
Der Ranenprinz wird ganz blass, seine Augen weiten sich immer mehr, beginnt am ganzen Körper zu zittern. „Bitte, Herr, sagt mir alles, verschont mich nicht.” Auch Satko schaut mit erschrockenem Blick zum Herzog.
„Weit über ein Jahr lang verheerte Euer Großvater unser Land. Zuerst zog er über Seeland bis nach Kopenhagen und eroberte Stadt und Königsburg, dann wütete er auf den anderen Inseln. Auf Bornholm belagerten seine Ritter und Kriegsknechte die königliche Lilleborg. Was heißt hier belagern! Er ließ sie mit seinen Bliden in Grund und Boden schießen, über zweihundert Verteidiger fanden den Tod! Auf Schonen trat er schließlich vor seinen göttlichen Richter: durch die Hand einer Bauersfrau! Nachdem er ihren Mann getötet hatte und ihr selbst Gewalt antun wollte.”
Wislaw schlägt mit dem Kopf auf das Schachzabelbrett auf, sodass die Figuren zu Boden fallen.
„Doch das schlimmste Verbrechen des blutigen Jaromar fand gleich am Anfang seines Kriegszuges statt, nur eine Tagesreise von hier: Vor der Stadt Næstved, am Hof Husvolden, schlugen seine Leute das Bauernheer der Königin. In einem furchtbaren Gemetzel ließen zehntausend Menschen ihr Leben! Und der Bischof von Roskilde, Peder Bang, verwehrte diesen armen Seelen das christliche Begräbnis! Das war am Tage vor Sankt Veit 1259.”

Wislaw springt auf. Stößt dabei das Zabelbrett von dem Tisch. Läuft in die Mitte des Saals. Reißt die Arme hoch. Beide Hände vor dem Gesicht: „NEEEIIIN!” Fällt auf die Knie. Bricht zusammen. Und bleibt leblos auf dem blanken Steinboden liegen.
Ein Gärtner, der vor den Fenstern gearbeitet und den Schrei gehört hatte, kommt, um Hilfe zu leisten. Auch Margarete eilt in den Saal und bleibt vor Schreck erstarrt stehen. Satko will gerade zu seinem Herrn und ihm beistehen, doch der Gärtner ist bereits beim Fürstensohn. Wislaw hebt langsam den Kopf, blickt nach oben. Er sieht über sich den Bauern mit dem hageren Antlitz, dem schütteren Bart und dem durch den Wind zerzausten Haar. Ihm ist, als strahle ein Lichtschein. Ganz leise, fast gehaucht: „Christus?” „Verzeiht, Herr, ich heiße Klaus, Klaus aus Næstved.” „Næstved?” „Ja, von dort bin ich gebürtig, Herr.” „Starb Euer Vater auch dort ... in der Schlacht?” „Ja, Herr.” „Verzeiht, bitte, bitte, verzeiht.”
Dann passiert das nie Dagewesene: Der Prinz drückt sein tränennasses Gesicht zu Füßen dieses Bauern in den Staub.
Es ist so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Alle schauen wie gebannt nur auf diese eine Szene. Der Gärtner Klaus weiß nicht, wie ihm geschieht. Margarete, von Satko gestützt, hält die Hände vor ihrem offenen Mund. Langsam erhebt sich Herzog Waldemar von seinem Sitz.
Nach einer gefühlt unendlichen Zeit richtet Wislaw seinen Oberkörper auf, kniend erhebt er seine rechte Hand zum Schwur und gelobt mit tränenerstickter, aber klarer Stimme: „Ich kann die armen Toten nicht wieder lebendig machen, ich kann nur ein Zeichen der Reue und Demut meiner Familie setzen. So möchte ich, nur in grobes Sackleinen gehüllt, ein Sühnekreuz in harter Arbeit selbst bemeißeln und am Ort der größten Untat meines Großvaters errichten. Das schwöre ich bei allen Heiligen! Der Herr im Himmel und alle hier sind meine Zeugen.”
Nachdem Satko Margarete mitgeteilt hatte, wie das alles passiert ist, tritt sie vor den Herzog: „Musste das wirklich sein, Herzog Waldemar?! Auch Ihr stammt von Fürst Jaromar ab. Falls Ihr es vergessen haben solltet: Eure Mutter war seine Tochter.” „Ja, Prinzessin, es musste sein! Es ist mehr als wichtig, vor allem für Wislaw selbst. Er wird eines Tages Fürst der Rujanen sein, nicht ich.”
Inzwischen ist Satko bei seinem Herrn und schaut ihn fragend an. Dieser legt seine Hände auf die Schultern des Knappen. „Satko, mein Freund, einst hatte ein Kaiser das Sackleinen genommen, um sich dem Papst zu unterwerfen. Ich werde es nehmen, um etwas viel Wichtigeres zu tun. Du wirst mir dabei nicht zur Seite stehen, auch wenn das sonst deine Pflicht wäre und ich weiß, dass du das von Herzen gern machen würdest. Deine Pflicht ist es jetzt, Prinzessin Margarete in dieser Zeit zu unterstützen. Das, was nun kommt, muss ich ganz allein tun.” Satko schluckt. Wie gern würde er seinem Herrn beistehen, aber er ist nun mal der Knappe und muss dessen Befehlen folgen. Wislaw, der einfach nicht anders kann: „Komm, nimm es nicht so schwer. Es ist für uns alle gut. Du wirst sehen.”
Der Rujanenprinz tritt zu Margarete, geht vor ihr auf die Knie, nimmt sein silbernes Schapel vom Haupt und reicht es ihr mit den Worten: „Edle Dame, nehmt dies als meinen Minnenpfand. Ihr seid stets in meinem Herzen, ganz gleich, was die Zukunft bringen mag.” Dann verlässt Wislaw wortlos den Saal.
Noch am selben Tag erscheint er das letzte Mal am Hof, im Gewand eines Bettlers. Er reicht seinem Knappen, bis auf seine Bruche, sämtliche Kleider: Cotte, Beinlinge, Schuhe, Gürtel, Bundhaube, Handschuhe, selbst das Leinenunterhemd. Wislaw geht hinunter in die Stadt zur Kirchenbauhütte. Dort wird er unter Anleitung des Steinmetzes in den kommenden Tagen einen Stein zu einem Kreuz behauen. „Nehmt diesen gotländischen Kalkstein, er ist leichter zu bearbeiten, als harter Granit, und zugleich haltbarer, als Sandstein.” Am Ende der Woche ist das Sühnekreuz fertig und ganz ansehnlich geworden, sogar mit einer naiven Gravur des gekreuzigten Heilands. Wislaws Hände sind wund, seine Arme und Schultern schmerzen, das grobe Leinenzeug scheuert überall.

Hier geht es bald weiter...

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