Wappen der 'verbürgerlichten' Wizlawiden
Keine Bahn ist keine Lösung! - Erhalt der Bahnstrecke Velgast - Barth!
alle Besucher seit 2003:
Kostenloser Besucherzähler
Free counters!


powered by FreeFind
Tschüss Vattenfall! - Diese Website wurde mit sauberem Strom der EWS Schönau erstellt.
Fukushima mahnt: Alle AKWs abschalten!
Keinen Krieg! Nirgends!
Nie wieder Faschismus!
Hier gehts zu  Mittelalter Top 100
BuiltWithNOF
7. Kapitel

Wislaw und Witzlaw
– eine märchenhafte Rügener Geschichte –

aufgeschrieben 1474 vom Ritter Satko zu Saatel, übersetzt ins Neuhochdeutsche von Jens Ruge aus Hamburg ;-)

Kapitelübersicht:
1 Der freche Greif oder Ohne Witzlaw wäre alles sooo schön einfach!
2 Brautwerbung am Königshof oder Sonnige Aussichten für Wislaw
3 Der Weg in die Zukunft oder Unter der Last der Vergangenheit
4 Entscheidung auf dem Rugard oder Der falsche Alexander
5 Dem Tod entronnen oder Schicksalsschlag in Riga
6 Minnesang und Ritterspiel oder Die Hochzeit von Rujana
7 Im siebten Himmel oder Oh, liebliche Minne!

Dem Tod entronnen
oder

Schicksalsschlag in Riga

Es sind nicht einmal zwei Stunden vergangen, dass die Kogge, auf der sie sich als Pilger einen Platz erbeten hatten, nach der langen Fahrt von Stralessunt hierher, im Hafen von Riga fest machte. Ihr erster Weg führte sie in die der heiligen Jungfrau gewidmeten Kathedrale des Erzbischofs. Riga ist einer der berühmten Wallfahrtsorte, um Ablass zu erhalten.
Wislaw kniet sich nieder, links daneben tun es ihm sein Knappe Satko, sowie Domamar und Zulimar, Bauernbrüder aus Zurkovitze, gleich. Während sie andächtig der Messe des Priesters folgen, schiebt sich eine Gestalt mit hochgeschlagenem Mantelkragen rechts neben den Prinzen. Auch er scheint die Worte des Priesters hören zu wollen.
Doch plötzlich ganz leise ein Raunen zu Wislaw: „Nun, Herr Wislaw, gefällt Eurer Minnedame der golddurchwirkte Seidengürtel? Er ist doch wunderschön, nicht wahr? Noch schöner wäre es, ich bekäme endlich meinen Lohn dafür von Euch! Ihr erinnert Euch doch noch?” Natürlich erinnert sich Wislaw an den Kaufmann. Und er hat auch ein klein bisschen schlechtes Gewissen.

Es war letztes Jahr, kurz nachdem auf dem Rugard zu Berghen der Ritter Grootmaul besiegt wurde. Der fürstliche Hof hielt sich gerade in der Curia am Katharinenberg in Stralessunt auf. In der platea apud Ossenrey, dort, wo es prächtige Verkaufsläden gibt, sah er dann diesen Gürtel. Aber er hatte damals wirklich nicht das Geld dafür. Doch dieser Gürtel für Margarete musste es unbedingt sein. Also machte er Schulden und vertröstete den Kaufmann auf später. Wie es eben ist, wenn jemand mit Gelddingen innerlich im Zwist liegt, wie Wislaw, so hat er einfach verdrängt, dass da noch eine Rechnung offen ist.

Jetzt wird er mit ganzer Härte daran erinnert: „Ich warte auf Eure Antwort, Herr Wislaw. Und ich möchte mein Geld sehen, und zwar sofort nach dieser Messe! Zweihundert Mark, mit Zinsen. Und zwar harte Sundische und nicht Eure lächerliche Slawische Mark. Also: Nicht Eure zerlumpte Fahne, sondern unseren strahlenden Strahl!” „Geduldet Euch noch etwas, ich kann es zurzeit noch nicht.” „Ihr hattet so viel Zeit. Deshalb: Noch heute!” „Ist Euch dieses Geld so wichtig? Ihr habt doch sowieso genügend davon.” Dieses Zwiegespräch ist immer noch mehr ein leises gegenseitiges Anzischen. „Schaut, was ich hier habe, edler Prinz.” Der Kaufmann schiebt seinen Mantel zur Seite und Wislaw starrt auf den blinkenden Stahl eines Dolches. „Dieser Dolch ist sehr scharf, Herr Wislaw! Das geht ganz schnell. Und dann hat es sich ausgeminnt!”
Wislaw vergisst sich: „IHR WERDET EUER VERFLUCHTES GELD NIE SEHEN!”
Vielleicht war es auch nur ein unbewusster Hilfeschrei, denn: Alle Augen sind auf den Prinzen gerichtet, dem Priester bleibt der Mund offen stehen. Dann überstürzen sich die Ereignisse. Der Kaufmann sticht mit voller Wut in den rechten Oberschenkel des Prinzen und flieht. Die Anwesenden sind wie gelähmt. Wislaw sackt zusammen und blutet, blutet, blutet.
Als erster ist Zulimar wieder bei sich: „Domek, Herr Satko, eure Hauben, schnell!” Sie drücken ihre frisch gewaschenen Bundhauben aus weißem Leinen auf die Wunde. Mit „Haltet mal bitte!” wechseln sie sich ab, damit jeder der drei seine Gugel von den Schultern ziehen kann. Zusammengeknotet ergeben sie einen guten Verband. Satko: „Ihr bleibt und passt auf unseren Herrn auf. Ich suche inzwischen einen Medikus!”
Wislaw hat das Bewusstsein verloren. Domamar: „Bitte, bitte, kommt wieder zu Euch. ... Verzeiht, lieber Herr!” Dann schlägt der Bauer dem Fürstensohn auf die Wange, erst links, dann rechts, wiederholt es nochmal. Jetzt kommt Wislaw wieder zu sich, stöhnt vor Schmerzen, schreit. „Bitte, bleibt bei Euch, Herr! Es kommt gleich Hilfe.”

Wenig später kommt Satko zurück, und in seinem Gefolge zwei Männer. Der eine ist unschwer als ein Medikus zu erkennen, der andere muss dessen Knecht sein. Der Arzt verschafft sich sofort einen Überblick und anerkennt: „Das habt ihr alles richtig gemacht! Wir brauchen eine feste Trage. Wir werden ihn zu mir nach Hause mitnehmen, dann mache ich alles Weitere.” Satko kommt auch schon mit dem Priester und einer Tischplatte aus der Sakristei zurück. Vorsichtig legen sie den Prinzen auf die Tafel. Dann tragen zwölf Hände diese in das Haus des Arztes Henning Menzen in der Slotstrate.
Noch auf der Tischplatte befreit der Medikus Wislaw vorsichtig von seinem Behelfsverband, zieht ihm Beinling und Bruche von der verletzten Stelle weg. Glücklicherweise hat das Bluten nachgelassen, auch Dank des straffen Verbandes. Er reinigt die Wunde mit einer Tinktur, die ihm seine Frau reicht. Dann legt er ein mit einer Salbenmixtur bestrichenes Pflaster auf und verbindet sie wieder mit sauberem Leinen. Eva Menzen gibt Wislaw zur Beruhigung einen Wein mit verschiedenen Kräutern zu trinken, sodass dieser bald einschläft. Vorsichtig kleiden sie den Prinzen aus und legen ihn in ein frisch bezogenes Bett.
Der Priester spricht ein Gebet für Wislaw, dann bringt er mit dem Knecht die Platte in den Dom zurück. Die Arztfrau und ihre Magd nehmen die blutbeschmierten Kleidungsstücke an sich und beginnen sofort mit deren Reinigung und Ausbesserung. Der Medikus zu dem Knappen und den Bauern: „Ich möchte mich bei euch von ganzem Herzen bedanken. Wenn ihr nicht so gehandelt hättet, wäre euer Herr verblutet. Jetzt möge Gott dafür sorgen, dass sich die Wunde nicht entzündet und der junge Fürst nicht fiebert.” Satko: „Ich würde gern am Bett meines Herrn wachen.” „Herr Satko, wir würden das auch gern tun. Ist Euch das recht, Herr? Dann sagt bitte, wann wir Nachtwache halten sollen.” „Ja, wir machen das gemeinsam. Und wir losen aus, wer wann dran ist.” Und so kommt es, dass der junge Edelmann die ungünstigste Zeit erwischt.
Doch der Wunsch des Arztes erfüllt sich nicht. Nach zwei Tagen rötet und schwellt sich die Haut an der Wundstelle, die dazu noch stinkt, und Wislaw geht es schlechter. Satko fragt: „Müsst Ihr die Wunde ausbrennen?” „Wenn alles andere nicht hilft, muss ich das tun. Aber ich möchte das verhindern. Es gibt noch ein letztes Mittel, das ich versuchen werde. Es nennt sich Goldenes Pflaster.” Henning Menzen säubert nochmals die verletzte Stelle und tröpfelt eine Flüssigkeit hinein: „Das wird die bösen Kräfte zerstören, die sich in die Wunde hineingeschlichen haben und den Kranken töten können.” Danach legt er das mit einer Salbenmischung bestrichene Goldene Pflaster auf. Zugleich verabreicht seine Frau Wislaw den Wundtrank, der schon einmal geholfen hatte, und die Magd legt kühlende Tücher auf seine Stirn.

Von da an geht es mit dem Prinzen aufwärts: Das Fieber ist vergangen, er erholt sich zusehends, spricht und lächelt wieder. „Magister, ich danke Euch, Eurer Frau und Euren Bediensteten von ganzem Herzen. Ihr habt mich gerettet. Das stimmt doch?” „Ja, Herr, es sah schlecht aus. Ihr seid dem Gevatter Tod von der Schippe gesprungen. Aber genauso haben Eure Genossen Anteil daran, dass Ihr lebt. Ihr müsst Euch noch etwas schonen. Aber je eher Ihr wieder anfangt, erste Schritte zu gehen, desto besser ist es.”
Als später Zulimar und Domamar den Raum betreten, fordert der Fürstensohn sie nur auf: „Kommt her!” Nachdem jeder an eine Seite des Bettes getreten ist, legt er ihnen seine Arme um die Schultern und zieht beide zu sich heran. Bestimmt eine halbe Stunde verweilen sie so. Und als noch sein Knappe dazu kommt, der sich ein Lächeln wegen dieses Anblicks nicht verkneifen kann, sagt Wislaw nur: „Da ist ja noch ein Held! Gern würde ich dich hier und sofort zum Ritter schlagen.”

Wislaw kämpft sich mit Hilfe des Medikus wieder ins Leben

Die Schritte macht jetzt Wislaw und sie fallen ihm schwer. Er beißt die Zähne zusammen und kämpft. Der Medikus und alle anderen im Haus geben ihm jede denkbare Unterstützung. Von Tag zu Tag wird es besser, aber: „Werde ich immer hinken müssen?” „Junger Herr, ich will ehrlich zu Euch sein. Ja, es wird wohl so sein. Die Sehnen wurden durch den Stich verletzt und konnten nicht so zusammenwachsen, wie sie früher waren.” Der Magister schaut in Wislaws traurigen Blick. „Ihr lebt, das ist das Wichtigste. Alles andere wird sich mit Gottvertrauen geben. Ihr dürft nur die Hoffnung nicht verlieren.”
Später, alle sitzen nach dem Mittagsmahl noch zusammen: „Ich will singen in der neuen Weise ein Lied! Es soll ein Ton werden, länger, als alles bisher Gesungene. Ein Ton, den man seit den Zeiten des Sängers Walther nie wieder gehört hatte. In der ersten Strophe Gottes Lob. Ja, er mag mir geben und nehmen, was er will. Ich habe es gespürt. Nein! - bestimmt noch eine zweite Strophe. Er steht ja immer aufseiten der Schwachen. Seht, ich bin ja auch schwach, trotz meines Standes. Und er vermag viel. Wir hatten einst viele Götter. Rugewit, der Kriegsgott der Rujanen, mit seinen sieben Köpfen und acht Schwertern martialischer als der Mars, war sogar unser Familiengott. Und wir hatten wie die alten Römer Sklaven. Doch erst durch ihn haben wir erkannt, dass Sklaverei Unrecht ist. Und wir haben uns mit den Dänen ausgesöhnt. Auch das ist sein Verdienst.
Aber dann werde ich singen und sagen, wie mein Land soll sein, und alle dabei bedenken und erinnern. Die Adeligen an ihre Pflichten für Land und Menschen und daran, dass sie ihr Land nur zu Lehen haben, wie wir alle unsere Welt von Gott nur zu Lehen haben. Die Bauern daran, dass sie Neuem gegenüber aufgeschlossen sein sollen, so wie die drei Familien in Wislaweshagen, die seit geraumer Zeit ihre Äcker wie Genossen gemeinsam bestellen. So geht es leichter, dafür zu sorgen, dass niemand im Rügenland Hunger leiden muss. Alle Menschenkinder jedweden Standes auch daran, dass nur gute Werke zählen, so wie ihr sie mir habt getan, und nicht die Gier und nicht der Hass. Dass die Menschen sich verstehen und zusammen leben müssen, die Alteingesessenen von meinem Stamm und all die Zugezogenen. Ach, ich könnte so viel singen!”
Der junge Wislaw ist wieder der alte. Das beruhigt all die, die ihn kennen. Und nicht nur sie.

Doch plötzlich schlägt Lärm von der Straße her. Wütende Männer, die nicht gerade wie Habenichtse aussehen, haben sich vor dem Haus versammelt und schreien: „Verschwindet! Fürstenknechte! Haut ab, oder wir fackeln euch das Haus ab!” ... und noch viel Schlimmeres. Sie schlagen gegen die Tür. Angst macht sich breit bei denen, die drinnen sind. Die, die sonst auch Schwerter tragen, Wislaw und Satko, haben keine hier, denn sie sind ja auf Pilgerfahrt. Nur ein paar Dolche und das, was in Menzens Haus vielleicht zur Verteidigung noch auffindbar ist. Mehr nicht. Was sollen sie tun?
Wislaw: „Wie hat es dieser Kaufmann nur geschafft, sie alle gegen uns aufzuhetzen?” Ja, er ist mitten unter den Angreifern. „Aber vor allem, wie kommen wir hier raus? Und was machen wir dann?” „Ihr müsst verschwinden, vielleicht über den Hinterhof. Wir beide lenken sie ab. Wir Letten sind doch für die deutschen Herren, ganz gleich, ob Ordensbrüder oder Kaufleute, sowieso nur Luft. Uns wird deshalb schon nichts passieren, was noch schlimmer wäre.” „Nein, Maris, dich und Daina lassen wir hier nicht zurück! Ihr kommt mit, und wenn es sein muss, in mein Land.” „Dann versuchen wir es über die Hintertür. Aber lasst mich schnell noch die wichtigsten Arzneien, Instrumente und Bücher holen.” „Jeder trägt etwas. Wir füllen unsere Pilgertaschen. Wenn ich nur schnell genug laufen könnte? Ich versuch’s!” „Nehmt auch das Wenige zur Verteidigung mit, was da ist. Sind alle bereit? Dann los!”
Vorsichtig und fast geräuschlos folgt der Tross dem Arztpaar die Stiege hinunter, die in den Hinterhof führt. Der Knappe macht den Abschluss. Durch Schuppen und Nachbarhäuser sind sie erst einmal vor Blicken geschützt. Aber wie lange? Und dann wohin? „Wir müssen hier durch diesen Gang. Dann sind wir auf der Straße und müssen so schnell, wie es geht, geradeaus zum Stadttor.”
Als alle auf der Slotstrate sind, rennen sie auch sofort los in Richtung Rederstrate und Stadttor. „Ha! Dort laufen sie! Hinterher!” Ein Ausweichen ist nicht möglich: Auf der einen Seite ist eine Häuserzeile, auf der anderen die Mauer zu Domhof, Kloster und Erzbischofssitz. Der junge Fürst, der trotz der Behinderung alle seine Kräfte aufbringt, kommt ins Straucheln. „Verdammt!” Satko, der auch deshalb der Letzte der Gruppe ist, fasst ihn sofort bei der Hand, fängt ihn auf diese Weise auf und zieht ihn mit. Tor und Stadtmauer sind schon zu sehen, doch der Abstand schmilzt. Satko, der befürchtet, was Wislaw denken könnte: „Daina und Maris lassen wir nicht hier. Euch aber auch nicht. Ihr schafft das, Herr!”
Das Tor: Zu! Der Medikus: „Wir müssen zum nächsten, großen. Hier lang!” Der Prinz: „Ich glaube nicht.” Alle, bis auf den Knappen: „Was?” Der lächelt. Und dann geschieht das Wunder: Über ihren Köpfen kommen zwei mächtige Greifen mit ausgebreiteten Schwingen angesegelt, direkt auf die Verfolger zu und haarscharf über deren Köpfe hinweg, und nochmal, und nochmal. Das reicht, um sie in eine panikartige Flucht zu jagen. Mit Schrecken im Gesicht öffnen die Wächter das Stadttor.

Draußen vor der Mauer am Kanal zum Fluss, der wiederum in die Ostsee führt: zwei Wissende, zwei Staunende, vier ungläubig Blickende bis ernsthaft Erschrockene ... und zwei Lachende. „Danke, Miroslawa und danke, Witzlaw! Das war Rettung in höchster Not. Wie habt ihr das gewusst? Oder geahnt?” Domek und Zulek: „Das sind Miroslawa und Witzlaw, Herr? Es gibt sie also doch!” „Ja, ja, so ist das immer: Wislaw aus der Patsche helfen. Margarete hat sich gesorgt, weil ihr so lange weggeblieben seid. Da hat sie uns ...” „Schluss jetzt, Witzlaw! Es gibt Wichtigeres. Zum Beispiel ein Boot.”
Ein Stückchen weiter zum Fluss hin haben gerade Fischer - ebenso ungläubig Blickende bis ernsthaft Erschrockene - ihren Fang angelandet. „W-was war das jetzt?” „Ach, nur unsere Errettung. Können wir uns euer Boot einmal leihen, bis wir ein Schiff erreicht haben. Wir bringen es auch wieder zurück.” Dabei zwinkert Wislaw den beiden Greifen zu. „Gern, lieber Herr!”
Die acht Flüchtenden steigen in das Boot, Witzlaw und Miroslawa schnappen sich je ein langes Seil, die schnell am Boot befestigt sind, und dann ziehen sie dieses vom Kanal auf den Fluss und vom Fluss in die See. „Dort, eine Kogge!” Es ist ein gotländisches Schiff, das nach Dänemark unterwegs ist. Schnell werden acht Menschen an Bord gehievt, für die beiden Greifen ein Kinderspiel. „Bis bald!” Und schon sind sie auch wieder mit dem Boot im Schlepp nach Riga unterwegs. Dort angekommen: „Danke schön, für eure Hilfe!” „Danke schön, für das, was wir heute erleben durften!” Und ab geht’s schon wieder, Kurs auf den Gotländer.
Auch auf der Kogge sind die Menschen so erstaunt von dem, was sie bisher noch nie dargeboten bekommen hatten, dass es auch gar keine Frage ist, als Dankeschön einen kleinen Umweg nach Stralessunt zu machen. Vor seinen Vater zu treten, wird ein schwerer Schritt werden, da ist sich Wislaw so gut wie sicher und hofft insgeheim darauf, dass seine Mutter ihren Mann milde stimmen wird. Vielleicht kommt ja auch alles ganz anders? Was werden seine Geschwister sagen? Dass er bei Margarete Zuspruch und Trost finden wird, darüber ist er sich aber ganz sicher!

Wislaw hat erfahren, wie wohltuend Freundschaft ist, gerade in höchster Not, die er durchlitten hatte. Noch auf dem Schiffsdeck lässt sich der Prinz einen Scherenstuhl bringen, versammelt unter strahlendem Sonnenschein seine alten wie neuen Freunde um sich und dankt ihnen mit folgenden Worten: „Satko aus Zatel, mein treuer Knappe, sobald du das Alter von 21 Jahren hast, und das ist nicht mehr lange hin, wirst du von mir zum Ritter geschlagen. Du bist ein ganz Tapferer, Mutiger und Ehrlicher, das hast du schon mehrfach bewiesen. Domamar und Zulimar aus Zurkovitze, auch euch verdanke ich mein Leben. Ihr werdet einen schönen, großen Bauernhof am weißen Bach auf Jasmund bekommen, mit fruchtbarem Acker. Magister Henning Menzen, Eure große Kunst hat mich errettet. Ihr habt der Welt bewiesen, wie man gute Werke aus Berufung tut. Euch würde ich gern als Arzt an unserem Hof wirken sehen, der dort und nebenan den Menschen Gutes bringt. Euch und Eurer Frau Eva, Daina und Maris, ohne deren gütige Hilfe ich ebenfalls nicht mehr wäre, werde ich eine neue Heimat bieten, auf dass ihr in unserem kleinen Land Rügen glücklich werdet. Die Belehnung mit einer Rente wird Euch alle Möglichkeiten für Eure segensreiche Arbeit geben und Eure Familie versorgen.”

An einem anderen Tag bei ebensolchem Sonnenschein: „Daina, ich habe dich singen gehört. Einen solch wunderbaren Gesang habe ich noch nie vernommen. Und ganz ohne ein Instrument. ... Ich bin ja auch ein Sänger.” „Wenn Ihr wollt, Herr, kann ich Euch ein Lied singen. Ein Lied von einem jungen ritterlichen Helden, ein Lied von Heldenmut eines kleinen Häufleins Pruzzen in aussichtsloser Lage gegenüber den übermächtigen Ordensrittern, ein trauriges und zugleich hoffnungsvolles Lied.” „Ja, Daina, sing nur!”
Daina singt. Alle hören gebannt und ergriffen zu. Mit jedem Vers werden Wislaws Augen nasser.
Als der letzte Ton verklungen ist: „Ich danke dir, Daina. Ach, mein kleines Brüderlein!” Wislaw lächelt. „Ich erinnere mich noch, wie vor ein paar Jahren drei Abgesandte an unserem Hof erschienen, die eine ähnliche Sprache sprachen, wie du und Maris. Sie suchten einen Anführer aus einem fürstlichen Haus, das selbst noch nicht lang christlich war. So hofften sie, dass er die Herzen ihrer Leute gewänne. Wer lag da näher, als meine Familie - vier Schwestern und vier Brüder? Ja, das war so. Ich bin nun mal der Älteste, und damit Thronfolger. Jaromar, der Zweitgeborene, ist gerade zum Bischof von Kammin gewählt worden. Sambor, der danach kam, wird bestimmt eine weltliche Berufung haben. Ach, wenn ich mich mit ihm nur besser verstehen würde! Wir sind so unterschiedlich. Und schließlich Swantopolk, unser Jüngster. Er ist mir von allen am meisten ans Herz gewachsen, mein kleines Brüderlein.”
„Ja, Swantopolk war sein Name.”
„Er war damals gerade vierzehn Jahre alt und ist mit Begeisterung dem Ruf ins Pruzzenland gefolgt, für eine gerechte Sache, da war er sich sicher. Ich vermute, er hatte insgeheim seine Kraft noch aus dem Glauben an die alten Götter gewonnen. Das muss doch nichts Schlechtes sein. Schaut, waren denn die Streiter um Troja, die das Rittertum erfunden hatten, schlechtere Menschen? Oder der Römer Marcus? Ja, er hat sich ein Jahr lang alles Recht herausgenommen. Aber dann ist er der Aufforderung seines Gottes ohne Widerspruch gefolgt und hat sich für seine Mitmenschen geopfert, indem er sich in den Vulkan stürzte und so das Feuer löschte. Dass aber auch Christen ganz unchristlich sein können, das beweist mein Großvater.
Und ich weiß auch, dass es richtig ist, dass wir die Ordensritter nicht in unser Land lassen. Nicht die vom Deutschen Haus und auch nicht die vom Tempel oder die vom Hospital. Unsere Ritter und Knappen können unser Land gut selbst verteidigen. Die friedlichen Schwestern und Brüder jeglicher Orden aber sind uns immer herzlich willkommen.
Danke, Daina, für dein Lied und dafür, dass wir nun Gewissheit haben.”

Endlich zu Hause! Doch was wird das Zuhause bringen? Das, was passiert ist, hatte sich schon herumgesprochen. Wie zu erwarten, wird Wislaw in den Thronsaal der fürstlichen Curia zu Stralessunt zitiert. Wieder mal. „Thronsaal” ist eigentlich übertrieben. Es handelt sich bei diesem Fürstenthron um ein einfaches Holzgestühl, das auseinandernehmbar ist und auf ein paar Holzstiegen gestellt wird. Dadurch kann er bei der wandernden Hofhaltung einfach transportiert und unter den verschiedensten Gegebenheiten aufgebaut werden. Schön wird der Thron erst durch die Decken und Kissen mit slawischen oder sassischen Web- und Stickmustern, je nachdem, wer sie gefertigt hat.
Wie es schon seit Urzeiten am rujanischen Fürstenhof üblich ist, sitzt der Fürst auf seinem Thron, der hier auf zwei Stufen steht, das Zepter, das in einer nachgebildeten Lilienblüte endet, in der linken Hand. Sein bernsteinfarbenes, bereits mit einigen schlohweißen Strähnen durchsetztes Haar ziert ein mit Bernsteinen besetzter silberner Kronreif. Auf der gleichen Stufe stehen an seiner rechten Seite seine Frau Agnes und an der linken Margarete. Die noch am Hofe lebenden Kinder Eufemia, Sambor und Sophia sitzen nach alter Sitte zu Füßen des Vaters auf der unteren Stiege und gegenüber auf dem Saalboden Wislaws Reisegefährten und die anwesenden Lehnsleute und Bediensteten. Der junge Fürst steht mit der Gestik des Zuhörens vor seinem Vater.

Er denkt zurück, wie sie sich als Kinder trotz des Verbotes manchmal heimlich auf den Thron gesetzt hatten. Am liebsten spielte er zusammen mit Eufemia. Einmal wollten sie Kaiser und Kaiserin sein. Dazu stahl er den silbernen Lilienstab aus dessen Truhe. Es sind aber zwei Teile, die zusammengesetzt werden müssen. Das Zusammenschrauben ging ja noch, aber das Auseinandernehmen nach dem Spiel klappte dann nicht mehr. So passte das Zepter auch nicht mehr ganz in die Truhe. An das Donnerwetter, erst des Hofmeisters und dann des Vaters, können sich beide noch lebhaft erinnern. Erst hatten sie alles abgestritten, rückten aber schließlich doch mit der Wahrheit raus.

Jetzt wird Wislaw jäh in die Gegenwart zurückversetzt: „Bist du dir im Klaren, was du angerichtet hast?! Du bist der Erstgeborene, du trägst meinen Namen, du sollst der kommende Fürst von Rügen werden. Welche Schande! Was hast du dazu zu sagen, mein Sohn?” Je lauter der Fürst wird, desto mehr streichelt die Fürstin den rechten Arm ihres Mannes. Vielleicht schafft sie es, ihn zu besänftigen? Margarete schaut ihren Freund mitleidig und mit Tränen in den Augen an.
Wislaw überlegt, ob er sich rechtfertigen soll, oder um Verzeihung bitten, oder um Gnade flehen, oder, oder, oder. Dann kommt der erlösende Einfall: Er dreht sich um und humpelt auf seinen Schildknappen zu. Vorsorglich drückt Agnes den Arm ihres Mannes, dem sie ansieht, dass er kurz vor einem Wutausbruch steht. Der Prinz lässt sich seine Harfe reichen, dreht sich wieder dem Herrscher zu und hebt mit klarer, kraftvoller Stimme an: „Ich will singen in der neuen Weise ein Lied!” Die ersten beiden Worte besonders betonend.
Nach zwölf langen Strophen herrscht Stille im Saal. Was für ein Spruch! Was für ein Ton! Es ist sein Lied, es ist seine Regierungserklärung. Der Groll seines Vaters scheint verflogen, trotzdem: „Ich werde dir nach alter wendischer Sitte Sambor zur Seite geben. Auch er soll das Handwerk eines Fürsten erlernen. Und ihr sollt euch endlich besser verstehen und in euren Handlungen ergänzen. Es geht aber auch darum, dass unser Haus erhalten bleibt.” Agnes schaut ihren Mann liebevoll an: „Siehst du, es geht also. Auch ohne Wut.”
Die Tränen in Margaretes Augen sind geblieben, aber es sind jetzt Freudentränen. Freudentränen darüber, dass sich Wislaw nicht unterkriegen lässt, dass er mit seinem Lied sogar seinen Vater beeindruckt hat. Sie nimmt ihren Liebsten in den Arm, streichelt ihm über die Stelle seiner Cotte, an der sich die vernarbte Wunde darunter verbirgt: „Wir beide schaffen das!”

Die Lübecker Detmar-Chronik aus dem späten 14. Jahrhundert schreibt über den Vorfall in Riga:
„De hadde dar wesen vore an pelegrimatze to der Righe, dar men plach bi den tyden varen umme aflat. Dar stak ene en copman in der kerken, deme he quatliken antworde, do he ene manede umme sine rechten schult to gheldene. Van deme steke blef lam de vorste al sine daghe. By den tyden was sin broder Jermarus biscop to Kamyn.”

Die Übersetzung dieses mittelniederdeutschen Textes lautet:
„Bevor er (Wizlaw III.) seine Regierung angetreten hatte, war er auf Pilgerfahrt nach Riga, wohin man zu dieser Zeit fuhr, um Ablass zu erhalten. Da stach ihn ein Kaufmann in der Kirche, da er diesem unwillig auf die Aufforderung nach Begleichung einer Schuld geantwortet hatte. Seit diesem Stich lahmte der Fürst sein Leben lang. Zu jener Zeit war sein Bruder Jaromar Bischof von Kammin.”

Das ist der kurzgefasste Inhalt von zwei denkwürdigen Urkunden:
Ralov (Ralow), 9. Juni 1290 (PUB Nr. 1542):
Wizlaw, jüngerer Fürst der Rujanen, verkauft den Gebrüdern Zulimar und Domamar Zurkiviz, Bauern auf Jasmund, das Dorf Bealderik (Baldereck) zu erblichem Pachtrecht.
Sundis (Stralsund), 12. März 1307 (PUB Nr. 2342):
Wizlaw, Fürst der Rujanen, belehnt seinen Wundarzt Henning Menzen und dessen Ehefrau Eva mit einer erblichen Rente von 12 Mark wendisch aus dem Dorf Slavekevitze.

[Start] [Jens Ruge] [Die Wizlawiden] [Minnesänger Wizlaw] [Rujana - Rügen] [Wislaw und Witzlaw] [Liebe Kinder!] [Links] [SiteMap] [Gästebuch] [Forum Ruyanorum]