|
Satko kniet schon seit Stunden beim Gebet in der Kapelle der fürstlichen Curia zu Bard. Vor ihm steht auf dem Altar eine holzgeschnitzte und bunt bemalte Anna Selbdritt. Der Fürst konnte sich einfach nicht dem Wunsch seines Ältesten entziehen, der von dem großen Bildnis in Stralessunt so angetan ist. Was lag da näher, als das tun zu lassen, was die Slawen hier schon immer gut konnten: Holz zu bearbeiten. Das kleine Kunstwerk fertigte Suleslaw, ein Rane aus der Dienstsiedlung des Hofes vor dem Wiecktor. Neben dem Knappen liegen seine Waffen: die Lanze mit der Stanitza - so nannten die Ranen bereits das Banner Swantewits, und so nennen sie auch noch heute ihre Wappenfähnlein - den Schild, der eine goldene Sackpfeife auf blauem Grund zeigt, Helm, Kettenhemd und Kettenbeinlinge und vor allem sein Schwert. Und er muss noch die ganze Nacht und den halben nächsten Tag hier verweilen. Was für ein Glück, dass der Mai schon so warm ist!
Jetzt ist er da, sein Tag.
Die Tür der kleinen Kapelle wird vom Priester geöffnet, der auch den mit einem Gambeson, einer Art Steppwams, bekleideten Knappen hinausgeleitet. Zwei weitere Knappen, es sind ausgerechnet Arnold von Vitzen und Unko von Alkun, nehmen Satkos Waffen auf und tragen sie ihm nach. Draußen warten schon, angeführt von Meister Ungelarte, die Sangesbrüder Frauenlob und Rumelant von Sachsen mit ihren Fiedeln, Goldener mit seinem Psalterium und Hermann von der Damen mit seiner Schalmei. Dazu treten noch der Knappe und Freund Pribe Vyris mit einer kleinen Trommel und der junge Johann von Gristowe, der sich - von Wislaw angeregt - gerade im Flötenspiel versucht. Sie alle reihen sich hinter Unko und Arnold ein. Dieser Zug endet direkt vor dem Thron des Fürsten, der hier in Bard auf vier Holzstufen gestellt wurde. Wie immer hat sich Frau Agnes an die rechte Seite ihres Mannes gesellt. Zur Linken dürfen diesmal aber die Eltern Satkos, Johanna und Teszek, stehen. Satko kniet vor dem Fürsten nieder. Dieser gibt dem jungen Wislaw mit seinem Lilienstab und den Worten „Nun mal los, mein Sohn!” einen Stups auf die Schulter. Prinz Wislaw steht von der Thronstufe auf, auf der er zusammen mit seinem Bruder Sambor und seinen Schwestern Eufemia und Sophia saß, und reicht vorerst den Auftrag seines Vaters weiter: „Unko und Arnold, nun zeigt mal, was ihr gelernt habt!” Daraufhin legen beide Satko die Kettenbeinlinge an, ziehen ihm das Kettenhemd über und legen den Topfhelm und das Schwert vor ihm ab. Dann ergreift Arnold den Schild und stellt sich mit diesem links hinter Satko. Das Gleiche wiederholt Unko mit Satkos Stanitzalanze auf der anderen Seite. Dann richtet der Ranenprinz folgende Worte an seinen Knappen: „Satko aus Zatel, du hast mir sieben Jahre lang treu und mutig als Schildknappe gedient. Du hast deine Pflichten immer erfüllt, auch wenn es manchmal schwer war. Ich werde dir jetzt das Schwert gürten, während die Knappen Arnold von Vitzen und Unko z Alkuna dir die Sporen anlegen.” Als diese Schwertleite geschehen ist, zieht Wislaw das Schwert seines Genossen aus der Scheide, legt die blanke Schwertklinge auf dessen linke Schulter und spricht: „Vor dem Angesicht unser aller Herrn wirst du, Satko aus Zatel, Knappe, zum Ritter geschlagen. Achte immer deine Ritterpflichten: Ehrfurcht vor Gott, Treue zu deinem Lehnsherrn. Sei immer ein Beschützer des Glaubens, ein Beschützer der Frauen und Kinder, der Witwen und Waisen, der Schwachen und Armen. Setze dein Rittertum immer für gute Werke ein und kämpfe gegen Unrecht, mit Worten, aber auch wenn es sein muss, mit dem Schwert.” Mit der Aufforderung: „Gelobe es!” nimmt Wislaw das Schwert von Satkos Schulter und schiebt es zurück in die Scheide, nachdem der frischgebackene Ritter sein Gelöbnis gesprochen hat. „Erhebe dich, Ritter Satko!” Und schmunzelnd: „Aber warte noch. - Meister Kowalek!” Der Gerufene kommt mit einem großen Umhängesack. Zum Erstaunen der Anwesenden holt er Beinschienen für Ober- und Unterschenkel, mit einem Kniebuckel verbunden, hervor und schnallt sie dem Ritter auf die Kettenbeinlinge. Wislaw, mit Begeisterung: „Die passen ja wie angegossen! Gute Arbeit, Meister!” Satko, mit der gleichen Begeisterung zu seinem Lehnsherrn: „Tausendfachen Dank, lieber Herr!” Vater Wislaw, mit erstaunt geweiteten Augen: „Ist das deine Idee, mein Sohn?” „Ja, lieber Herr Vater. Und ich sehe gerade: Das Gleiche können wir auch für die Arme schmieden lassen. Dazu noch eine Brustplatte, wie sie der Herr Marquardus trägt. Dann sind unsere Ritter und Knappen gut geschützt.” Von einem gewissen Grootmaul von Dummbatz redet hier keiner mehr.
Später, in einem unbeachteten Moment. Der Herr Marquardus cum thorace - was „mit der Platten” heißt - zum Prinzen: „Herr Wislaw, mit Verlaub, die Brustplatte war schon immer das Erkennungszeichen meiner Familie. Der Sage nach schon seit Granza, der übrigens mit der Überbringung der Nachricht vom Fall der Burg Arkona erst Eure Ahnen dazu bewegt hatte, nicht mehr aussichtslos und unter Opfern den Dänen weiterhin zu widerstehen.” „Ich weiß, ich weiß, Herr Marquardus. Aber Ihr habt doch schon die beiden geflügelten Meerkatzen in Eurem Wappen. So etwas Besonderes hat sonst niemand anderes. Und Ihr wisst ja, unser Land ist Neuem gegenüber stets aufgeschlossen.” Wislaws beschwichtigende Handbewegungen und sein schmunzelndes Augenzwinkern „entwaffnen” den Ritter vollkommen. Noch später, in einem weiteren unbeachteten Moment. Der Herr Satko zum Prinzen: „Lieber Herr, wie konnte es denn Meister Kowalek hinbekommen, dass die Beinschienen so gut passen?” „Erinnerst du dich noch an das Turnier zu Damgora, auf dem Platz vor unserem hohen Wehrturm an der Straße nach Rybanitz? Du warst am Ende so erschöpft, dass du gleich in deiner Rüstung eingeschlafen bist.” „Ja, die obodritischen Herren aus Mecklenburg hatten uns beim Buhurt ganz schön gefordert. Aber wir Rujanen haben schließlich doch gewonnen.” Und auch hier mit einem schmunzelnden Augenzwinkern: „Und da habe ich gleich die Gunst der Stunde genutzt, und alles ausgemessen, was der Schmied wissen wollte.” Satko lacht in seiner unverwechslichen Art und Wislaw stimmt mit ein.
Ach was, wir feiern einfach gleich in den nächsten Tag hinein, denn dann kommt Margaretes und Wislaws großer Tag!
Was für eine Hochzeitstafel! An der Spitze das Brautpaar, natürlich. Auch sitzen alle nach Rang geordnet, immer zwei mit einer gemeinsamen Schüssel. Aber jede und jeder, gleich wer, bekommt nach Herzenslust. Ja, auch das: Kurz bevor aufgetragen wird, erinnerte Wislaw den Küchenmeister Reynfried von Penitz: „Denkt auch an das, was wir heute besprochen hatten, dass David und Shulamith nicht alles essen dürfen. Ihr Glaube gebietet es ihnen so.” Jetzt ist es soweit! Angeführt vom Küchenmeister und begleitet von den Sängern mit ihrem Spiel, hält der Tross der Bediensteten Einzug. Ach, stellt euch selbst vor, welche Köstlichkeit es gibt! Eines verrate ich euch: Allen schmeckt es.
Die Hochzeitstafel wird aufgehoben, und das ist auch wörtlich gemeint, aber alle bleiben zusammen. Als Erster erhebt der König das Wort: „Junger Herr Wislaw, mein Freund, ich habe gehört, Ihr habt einen Spruch auf Euer Land gedichtet, in dem Ihr mich, Euren König und Lehnsherr, nennt. Diesen würde ich doch gern einmal hören.” „Das ist mir eine Ehre, Majestät.” Der Prinz greift seine Harfe, verbeugt sich vor Erik, zupft die Melodie an und erhebt seine Stimme, diesmal ohne die ersten beiden Worte besonders betonen zu müssen: „Ich will singen in der neuen Weise ein Lied!” Nach dem Vortrag lobt ihn König Erik: „Der Ruf, der Eurem Lied vorauseilt, ist in jeder Weise wahr. Es ist ein wirklich guter Spruch!” „Tausend Dank für Euer hohes Lob, mein König!” Die Freude über diese Anerkennung sieht man nicht nur Margarete und Wislaws Eltern und Geschwistern an.
Dragomar von Jasmund, der Mundschenk, kommt und hinter ihm zieht beziehungsweise schiebt je ein Knappe einen kleinen Wagen, auf dem ein Fass liegt. Der Schenk: „Majestät, hochwürdiger Bischof, edle Fürstin und edler Fürst, liebes Brautpaar, ihr Damen und Herren, ihr Mägde und Knechte, jetzt gibt es eine Überraschung. Dieser Wein hier ist etwas ganz Besonderes und von weit her aus dem Ungarland. Der Herr Michael Karolyi ist von seinem König mit einem wunderbaren Weinberg belehnt worden, und der Wein dieser edlen Trauben ist hier drin. Das Fass musste eine lange Reise zurücklegen. Mal auf einem Fluss - der erste war der Samosz, der letzte die Odra - dann wieder auf einem Fuhrwerk, bis es in Stetin angekommen war, dort, wo wir auch sonst immer unseren Wein mit dem Schiff abholen. Der Weinberg dort ist ja auch gut. Aber dieser! Probiert selbst!” Ein begeistertes Murmeln geht durch den Palas. Und noch mehr, nachdem jede und jeder den ersten Schluck genossen hat. Margarete zu ihrem Liebsten: „Mmh, dieser Wein ist der reinste Genuss! Aber der Saft aus den Früchten, die wie kleine Bernsteine an den Dornensträuchern wachsen, ist auch etwas Besonderes. Du weißt ja, als ich ihn zum ersten Mal getrunken hatte, war er mir viel zu sauer. Aber mit jedem Schluck schmeckte er immer besser.” „Als Kind wollte ich gar nicht ran. Da konnten sich meine liebe Mutter und die gute Botilde noch so anstrengen. Aber irgendwann hatte ich verstanden: Er stärkt Herz, Leib und Seele. Jetzt möchte ich gar nicht mehr darauf verzichten. Und sauer kommt er mir auch nicht mehr vor.” Wislaw zwinkert.
Hinrik von Vitzen, der Vater des Knappen Arnold, früherer Burgvogt der alten Barder Fürstenburg und nun Verwalter der neuen Curia, spricht in dieser gelösten Stimmung den Prinzen an: „Herr Wislaw, stimmt es, dass Eure Ahnen diesen Felsen erklimmen mussten, um König von Rügen zu werden, damals in der Heidenzeit?” Wislaw beginnt herzhaft zu lachen: „Diese Sage hält sich ja wirklich lange! Im Grunde ist es eine schöne Geschichte, nur stimmt sie leider nicht.” „Wie auch, jeder, der versucht hätte, ihn vom Ufer aus zu ersteigen, wäre unweigerlich abgestürzt”, wirft Margarete ein. „Mein Wislaw hatte mir den ’Stuhl des Königs’ genannten Felsen gezeigt, als ich das erste Mal im Lande Rügen war.” „Na, dann möchte ich euch erzählen, wie es sich wirklich bei uns früher zugetragen hat. Eigentlich ganz einfach: Keiner der Edelleute wollte König werden, sich dem Orakel fügen und dann noch den Kopf hinhalten müssen, wenn deswegen ein Unternehmen mal wieder schiefgegangen ist. Und so blieb es auf den Volksversammlungen immer dabei: ’Macht ihr das mal weiterhin. Ihr habt das schon immer gemacht und könnt es sehr gut.’ Unsere Adelsfamilien waren da viel schärfer drauf, einen der ihren bei den Priestern unterzubringen, und am besten gleich den Oberpriester zu stellen.” Ritter Dragomar verzieht das Gesicht und verdreht die Augen. Ahnt er etwas? „Als Oberpriester hattest du einfach mehr Macht und Einfluss als, als König”, schließt der Prinz. Und er ist wieder mal glücklich, hier zu leben und unbefangen auch über die alte Zeit sprechen zu können. Kein Bischof von Roskilde hebt mahnend den Finger, wenn er von der Heidenzeit berichtet. Kein König von Dänemark wirft einen bösen Blick, wenn er an den alten Zwist erinnert. Ja, es war richtig, was er damals in Vordingborg und Næstved getan hatte! Und jetzt kommt es, diesmal vom Herrn Marquardus mit der Platten: „Na, lieber Herr Dragomar, erinnert das Euch an etwas? Erzählt doch mal, warum Ihr ZWEI Rauten in Eurem Wappen habt! Oder soll ich es tun?” „Ist ja schon gut. Was soll’s. Also dann: Sechs Jahre bevor Euer großer Ahne, edler König, und Euer großer Vorfahr im Amt, hochwürdiger Bischof, die Tempelburg Arkona erobert hatten und das Standbild des Swantewit stürzen ließen, sollte aus dem Kreis der Priester der neue Oberpriester gekürt werden. Das wurde immer durch das Los entschieden, indem jeder Bewerber sein Zeichen auf eine der vier Seiten eines Kantholzes eingeritzt hatte. Bei meiner Familie war das eben die Raute aus unserem Wappen. Wenn nach dem Loswurf eine leere Seite nach oben zeigte und bei anderen nicht, war man ausgeschieden. Solange aber mehr als ein Holz ein Zeichen oben hatte, wurde zwischen denen weiter gelost, bis ein Sieger feststand. Und, nun ja, unseres hatte zwei Rauten darauf, eine oben und eine unten.” „Und das war niemandem aufgefallen?”, kommt es aus der Runde. „Erst als Tessemer bereits zum Oberpriester geweiht war. Doch da war es längst zu spät. Was hätte denn das Volk gedacht, wenn das höchst angesehene Amt im Lande unrechtmäßig erlangt worden wäre?” Herr Dragomar hebt entschuldigend die Schultern. „Zur Strafe wurde Eurer Familie dann auferlegt, dass Ihr zwei Rauten in Eurem Wappen führen müsst, damit jeder sieht: Das sind die, die mit ihrem Orakelstab betrogen hatten”, lacht Herr Marquardus. „Ja, ja, ist schon gut.” „War doch nicht so gemeint. Ich weiß doch, dass Ihr ein guter Mann seid!”
Der Disput zwischen beiden Rittern ginge am Ende so weiter und Herr Dragomar hätte vielleicht Herrn Marquardus noch etwas wegen Granza unter die Nase gerieben, wenn nicht Wislaw diesen versöhnlichen Moment nutzen würde: „Meine lieben Gäste, nun möchte ich euch ein neues Lied singen, das den Mai und meine Liebste ehrt.” Er greift seine Harfe und schreitet in die Mitte des Saales:
„Wohlan, Herr Mai, ich schenke Euch meine Huld, denn meine Frau schreitet daher in prächt’gem Gewand. Ihr Schmuck, ihr Kleid, ihr Leib, all das lag mit Geduld, der kalte Schnee, das Eis, der Wind dies tat dem Land. Entnommen sind sie dem Schrein, meine Frau, die macht sich fein. Sie tritt heran, als ob sie spräche: ’Seht mich an, ihr Mädchen, Frau und Mann.’”
„Sehr schön!” „Ein Ton, der zum Mitsingen einlädt!” „Jetzt kann es nur noch besser werden, bin schon gespannt!” „Ich auch!” „Mal sehen, was unser junger Herr jetzt noch so singt?”
„Meine Frau weiß, dass ich lobe den Mai. Noch lieber ist mir, wenn ich von ihr hab’ gehört. Das kommt von ihrer Güte, die ist so vielerlei. Unter tausend Frauen hätte ich nur sie gekürt. Meine Frau ist so schön, dass unter dem Himmelsthron noch keine Frau tat je die Güte, die meine hat. Preiset sie, dies ist mein Rat.”
„Wunderbar!” „Diese Stimme! Diese Lust!” „Die dritte Strophe stellt alles in den Schatten!” Wislaw geht zu Margarete, gibt ihr einen Kuss, legt seine Harfe weg und setzt sich wieder neben sie. Dann schaut er in die Runde und hat Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken. „Herr Wislaw, wo bleibt denn die dritte Strophe?” „Mein Sohn, fehlt da nicht etwas?” „Ach, lass ihn! Oder soll ich dich zwicken?” „Bruderherz, was ist los mit dir?” „Ist das eine ganz neue Weise?” „Nein, das glaube ich nicht. Zum Minnelied gehören seit eh und je drei Strophen.” „Nicht immer. Zu Zeiten des Königs Shelomo war das noch nicht so streng. Aber hier fehlt trotzdem etwas.” „Ja, immer, wenn es spannend wird!” Der Ranenprinz ergötzt sich geradezu an diesem Wortwechsel. Ein klein bisschen noch, dann: „Meine lieben Gäste, die dritte Strophe ist nur für meine Liebste da. Zumindest heute. Irgendwann spricht sie sich sowieso herum. Vermutlich werde ich mich verplappern. Aber heute hört sie nur Gretka.”
Dann ist es soweit: Bischof Johann von Roskilde geleitet beide in die Kemenate. Wislaws Eltern und Geschwister, König Erik, Herzog Waldemar folgen ihnen, und auch die anderen Gäste nach ihrem jeweiligen Rang. Der Geistliche segnet das Paar und das Bett. Und dann bittet er alle anderen, mit ihm das Zimmer zu verlassen. „Ganz zufällig” „vergisst” Wislaws früherer Schildknappe dabei seine Sackpfeife - nachdem er beiden von ganzem Herzen alles Glück der Welt gewünscht hatte. Jetzt sind sie allein. Endlich. Wie schon so oft. Aber diesmal ist alles anders. Sie umarmen sich. Sie küssen sich. Lange. Dann, irgendwann, nimmt Wislaw den Dudelsack an sich, der einfach so da liegt. Noch ein Kuss, dann bläst er erst ganz sacht in die Sackpfeife hinein und setzt in leisem, fast schon geheimnisvollem Ton an:
„Sähe ich die Gute nach meinem Willen gedrängt, so ließ ich gern all meine Wünsche vor fahr’n. Dann hätte sich mein Wille mit ihrem vermengt:”
Margarete, mit schelmischem Unterton: „Liebster, was ist dein Wille, der auch der meine ist?” Wislaw, befreiend laut, fast schon in vollem Überschwang:
„In einem Bette wir uns zusammenschar’n.”
Margarete lächelt verführerisch und „droht” zugleich mit dem rechten Zeigefinger, als ob sie sagen will: ’Wislaw, du Schlimmer!’
|
|
Sie träumen von sich und sie träumen auch davon, wie sie kurz vor der Hochzeit in Dänemark waren, um König und Bischof nach Rügen zu begleiten. Da waren sie auch beim freundlichen Priester von Kirkerup, der ihnen seine ausgemalte Kirche zeigte. Sie erkannten sich sofort wieder, so gut hatte der Maler sie abgebildet, in ihren zu eng und zu kurz gewordenen Kleidern. Sogar Wislaws bernsteinfarbenes und nach slawischer Sitte getragenes Haar hat er bedacht. Ja, sie müssen sie unbedingt an ihrem Hof einführen, diese Kleidung, die mehr von den Schönheiten der Menschen preisgibt! Sie träumen davon, wie schön es ist, in Ländern zu leben, in denen auch die Kirche duldsam ist mit ihren Schäfchen. Sogar die Predigerbrüder von Sankt Katharinen, in ihrem Kloster gleich neben dem Fürstenhof in Stralessunt, sind es. Wichtig ist auch für sie nur, dass man mit dem Herzen unserem Herrn zugewandt ist und für die Mitmenschen gottgefälliges Werk tut. Was spielt es denn da für eine Rolle, wenn man sich schon vor der Ehe minnt? Sie träumen lange, sehr lange, und immer noch, als die Sonne schon hoch am Himmel steht und die Kemenatentür geöffnet wird. „DAS KANN”, Agnes kneift wieder mal ihrem Mann in den Arm, deshalb jetzt etwas leiser: „doch wohl nicht wahr sein! Wann nochmal hatte der letzte Hahn gekräht? Satko, du bist zwar nicht mehr sein Knappe, aber unternimm was!” Der junge Ritter angelt sich seinen Dudelsack, der neben dem Bett liegt, und spielt darauf eine köstliche Melodie: Ganz leise beginnend, dann immer mehr anschwellend, bis er ihm höchste Töne entlockt. Jetzt werden beide wach. „Wo sind wir?” „Ach so, am Fürstenhof.” „Und es wird langsam Zeit, dass ihr aufsteht!”
Denn die Bauern warten schon, um beide in die Badestube von Bard zu entführen, die wendischen und auch die sassischen, die diese Sitte bisher noch nicht kannten. Einmal in den Zuber gesetzt, stellen Gretka und Witek fest, dass das Labsal nicht schlechter als damals in Næstved ist, und die hiesigen Bauern ebenso gut mit den Birkenruten umgehen können wie die dänischen. Schließlich wird das Paar frisch eingekleidet und von den Bäuerinnen und Bauern an den Fürstenhof zurückgeleitet. Immer mehr Stadtbürger schließen sich ihnen an. Die Kinder der Bauern und Städter rennen ausgelassen, mit bunten Bändern und Tüchern wedelnd, dem Zug vorneweg. So kommen sie tanzend und singend am Hofe an. Es sind solche Bekundungen aus dem Volk, die das junge fürstliche Paar immer wieder so glücklich machen.
Und schon beginnt ein weiterer Tag mit einem Fest für alle. Niemand ist ausgeschlossen.
Epilog
Jahre sind ins Land gegangen. Wislaws Vater und Bruder waren bereits verstorben, er selbst inzwischen Fürst der Rujanen, doch Nachwuchs hatte sich trotz der starken Liebesbeziehung zwischen Margarete und Wislaw bisher nicht eingestellt. Erik, der König der Dänen und Slawen, den wegen seiner Eidesformel damals schon alle Menved nannten, kam eines Tages auf seinen treuen Lehensmann und ritterlichen Genossen zu und legte ihm seine Hände auf die Schultern: „Mein Freund, es tut mir von ganzem Herzen leid, dass mein Niftel Euch noch keinen Sohn und Nachfolger schenken konnte.” „Lieber Herr und König, mein Freund, verzeiht, aber warum sollte Margarete daran Schuld haben? Es kann doch auch sein, dass mein Samen zu schwach ist? Wir können nur eines machen: Uns immer wieder mit allen Sinnen und aus tiefstem Herzen lieben. Und auf die Gnade unser aller Herrn hoffen.” Erik schaute seinen Freund entgeistert und zugleich mitleidig an. Alles hatte er erwartet, nur das nicht. Als König wusste er, was sonst in solchen Fällen passierte, selbst für höchst gestellte Damen. Diese hatten dann noch das größte Glück, wenn ihr Ehemann und Herr den Papst um einen Dispens ersuchte und diesem stattgegeben wurde. Ansonsten mussten sie mit Verstoßung und Schlimmerem, weitaus Schlimmerem, rechnen. Und Wislaw sagte diese Worte, so einfach, so selbstverständlich. „Mein König, lasst uns gemeinsam einen Erbvertrag aufsetzen, damit alles in guten Bahnen verläuft, wenn es Margarete und mir doch nicht vergönnt sein sollte.” „Ja, das machen wir.” König Erik Menved strich seinem Freund über den Arm. Dann zog er ihn plötzlich an sich heran und drückte ihn an sein Herz. Er konnte einfach nicht anders und wusste wieder mal, warum der Fürst Rügens von allen sein liebster Vasall war.
|