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Bücher

Wislaw und Witzlaw
– eine märchenhafte Rügener Geschichte –

aufgeschrieben 1474 vom Ritter Satko zu Saatel, übersetzt ins Neuhochdeutsche von Jens Ruge aus Hamburg ;-)

Kapitelübersicht:
1 Der freche Greif oder Ohne Witzlaw wäre alles sooo schön einfach!
2 Brautwerbung am Königshof oder Sonnige Aussichten für Wislaw
3 Der Weg in die Zukunft oder Unter der Last der Vergangenheit
4 Entscheidung auf dem Rugard oder Der falsche Alexander
5 Dem Tod entronnen oder Schicksalsschlag in Riga
6 Minnesang und Ritterspiel oder Die Hochzeit von Rujana
7 Im siebten Himmel oder Oh, liebliche Minne!

Minnesang und Ritterspiel
oder

Die Hochzeit von Rujana

Wir schreiben den Mai im Jahr unseres Herrn 1291, ein ausgesprochen warmer Mai nach einem strengen Winter. Und er verspricht, ein ganz besonderer Mai zu werden, denn Wislaw, der älteste Sohn der Fürstenfamilie von Rügen, und Margarete, eine Cousine des jungen dänischen Königs Erik, wollen heiraten. Die Hochzeit wird am neuen Fürstenhof zu Bard, nein, in der ganzen Stadt am Bodden gefeiert. Der König selbst lässt es sich nicht nehmen zu kommen, zusammen mit dem Herzog Waldemar von Schleswig. Auch Johann, der neue Bischof von Roskilde, wird mit dem Priester von Kirkerup anreisen. Da wir gerade beim geistlichen Stand sind: Es werden sich nach langer Zeit Wislaw und sein drei Jahre jüngerer Bruder Jaromar wiedersehen. Auch seine Schwestern Margareta und Helena, die Zwillinge, kann er endlich wieder in die Arme schließen. Beide sind seit ein paar Jahren mit den Nachbarfürsten von Pommern-Wolgast und von Mecklenburg verheiratet, die natürlich ebenfalls kommen werden.
Wie könnte es auch anders sein, wer als Minnesänger und Spruchdichter einen Namen hat, lässt sich diese Feier nicht entgehen: natürlich Magister Ungelarte aus Stralessunt, Wislaws Lehrmeister, dann Rumelant aus der Heimat von Wislaws Mutter. Dem spielte das Schicksal nicht gut mit, denn er musste mehrmals sein Land verlassen. So gab er sich schließlich seinen heutigen Namen. Auch der Dichter Hermann aus dem Brandenburgischen ist gekommen, der sich nach dem Flüsschen benannt hatte, an dem er geboren wurde. Es hat sich auch Heinrich von Meißen angesagt, der viel auf sich hält, vielleicht etwas zu viel. Und es wird ein junger, hoffnungsvoller Sänger erwartet, von dem man bisher nur den Namen kennt. Er nennt sich ’Der Goldener’.

Mitten in die Vorbereitungen dieser Hochzeitsfeierlichkeiten kommt der Ratsherr Johann von Gusterowe mit einem unbekannten Mann am neuen Barder Stadthof an, um beim Fürsten und dessen Söhnen vorstellig zu werden: „Mein Fürst, das ist David, der Jude. Er ist der Erste seiner Gemeinde, die es nun auch bei uns in Stralessunt gibt.”
Während der Vorstellung, die in der üblichen rüganischen Form abläuft, schielt Fürst Wislaw immer wieder zu seinem gleichnamigen Sohn zu seinen Füßen. Dessen Begeisterung beim Hören des Namens David ist ihm nicht verborgen geblieben. Das wiederum ist der Fürstin nicht entgangen, und so kneift sie ihrem Mann vorsorglich in den Arm.
Doch es gibt keinen Grund für eine Beunruhigung, denn die letzten Jahre, angefangen mit Næstved, dann der Anschlag in Riga, vor allem aber seine Beziehung zu Margarete haben Wislaw erwachsen werden lassen. Seine impulsive, gefühlsgetriebene Art hat er jetzt viel besser unter Beherrschung. So kommt es, dass der Prinz erst, als er mit David und Gusterowe allein ist, seine Freude zum Ausdruck bringt: „Ha, das gefällt mir: Wenn jemand sich nach dem königlichen Psalmensänger nennt, dessen Sohn sogar der erste Minnesänger überhaupt war! Seid also herzlich begrüßt!” „Seid bedankt, lieber junger Herr!”
„Ach, und diesen Hut da müsst Ihr in unserem Land nicht tragen ... Ich habe ja schon gehört, dass Eure Glaubensbrüder das woanders tun müssen.” „Tausendmal Dank, Herr! Aber was nun, wenn ich ihn sogar tragen möchte?” „Dann ist es Euer freier Wille, den niemand einschränken darf.” „Lieber Herr, ich habe nämlich gemerkt, dass er in Eurem Land wegen des Wetters sehr nützlich ist. Ich komme aus Mainz. Dort ist der Winter viel milder und es stürmt auch nicht so.” „Nun ist endlich Mai, mein Lieblingsmond, und der eiskalte Winter vorbei. Aber ich verspreche Euch, unsere Sommer haben richtig viel Sonne. Und ich verspreche Euch auch ein neues Lied auf den Mai!” Wislaw ist wieder mal nicht zu bremsen.
David überkommt mit einem Mal das Gefühl: In diesem Land bin ich richtig. In diesem Land ist meine Familie gut aufgehoben. „Edler Prinz, mein Hut ist anderenorts ein Stigma, bei Euch ist er ganz einfach ein Schutz gegen Schnee, Regen, Wind und Sonne. Seid bedankt für Eure Güte!” „Ihr müsst wissen: Als ich am Allerseelentag 1261 geboren wurde, waren hundert Jahre zuvor meine Familie und mit ihr das ganze Ranenvolk noch Heiden. Wie kann ich da Verachtung spüren, wenn jemand anders glaubt?” Er hebt dabei die Schultern und breitet seine Arme und Handflächen aus.

Wislaw steht lächelnd da, als David geht. Er weiß: Sein Land wird ein gutes sein. Aus diesem Gedanken reißt ihn der Ratsherr Johann de Gusterowe heraus: „Edler Prinz, ich muss Euch etwas anvertrauen. Sind wir allein?” „Ja, was gibt's?” „Es geht um David und seine Glaubensgenossen. Es geht aber auch um Euren Stamm.” Wislaw schaut den Patrizier entgeistert an. „Herr, in der letzten Ratssitzung hat ein gerade erst gewählter Jungspund einen Proteststurm ausgelöst, glücklicherweise.” „Macht es nicht so spannend! Worum geht's?” „Er forderte allen Ernstes, dass die vor kurzem hier angekommenen Juden in einer einzigen Gasse am Ende der Platea apud Ossenrey wohnen sollen.” Wislaws große Augen werden noch größer. „Und dann wollte er zudem durchsetzen, dass die Wenden der Stadt nur noch auf einem eigenen kleinen Markt an der Rückseite des Rathauses Handel treiben dürfen, und nicht mehr auf dem großen Markt davor und auch nicht in Schadegard auf dem Markt der Neustadt.” „Bitte was? Wiederholt das nochmal! ... Nein, nein! ... Verschont mich damit!” Blut steigt ihm in den Kopf. Innerlich kocht es in ihm. Gleich bricht es aus ihm heraus.
Das sieht auch der Herr aus Stralessunt und schiebt deshalb gleich nach: „Aber beruhigt Euch, er wurde niedergestimmt. Der wendische Ratsherr Bilek, die Herren Ossenrey und Semelowe und ich haben kraftvolle Reden dagegen gehalten.” Wislaw ist außer sich, hat Mühe sich zu dämpfen: „Menschen ausgrenzen? Weil sie einen anderen Glauben haben? Weil sie mit anderer Zunge sprechen? So etwas hat es in unserem Land noch nie gegeben! So etwas darf es in unserem Land auch niemals geben! Keine Worte sagen so etwas, in keinen Büchern steht so etwas!” Wislaw wird immer lauter vor Erregung. „Wie lautet sein Name?” „Herr, den kann, den darf ich Euch nicht nennen, leider. Auch ich habe einen Eid geleistet. Aber seid versichert, dass wir das auch in Zukunft verhindern werden.” „Das müsst ihr! Und ich verlasse mich dabei auf Euch.”
Wislaw stürmt hinaus, immer noch in Wut, und rennt dabei fast den Sänger Heinrich von Meißen, den alle nur Frauenlob nennen, über den Haufen. Dieser, der gestern mit seiner Barke in Bard angekommen war, ganz erschrocken: „Lieber Herr und Sangesbruder, was ist mit dir? Dein Haupt ist wie Drachenblut gefärbt!” „Freund, und das auch zurecht! Ich habe gerade von schreiendem Unrecht erfahren. Zum Glück konnte das gerade noch verhindert werden.”
Während sich dabei der Prinz zum Sangesbruder zurückwendet, läuft er geradewegs Margarete in die Arme, die sofort sieht, was mit ihrem Herzensprinzen los ist: „Du bist so aufgeregt. Ja, ja, ich hab’ es mitbekommen: Du hast gerade etwas Gemeines erfahren ... Soll ich dich jetzt auch besser zwicken, wie es deine Frau Mutter mit deinem Herrn Vater macht?” Wislaw, auf einmal ganz sanftmütig, flüstert ihr ins Ohr: „Liebes, das darfst du doch immer.” Beide kichern wie kleine Kinder, dann gibt er ihr einen dicken Kuss.

Ganz Barth, groß und klein, feiert die Hochzeit von Margarete und Wislaw

Der neue Fürstenhof zu Bard ist zwar noch nicht ganz fertig, aber was wir sehen, sieht schon sehr schön aus. Das Haupthaus hat spitz zulaufende Fenster und Maßwerkverzierungen, wie sie heutzutage gern gebaut werden. So kann viel Licht ins Innere fallen. Alles ist aus roten und gelben Backsteinen gefertigt, selbst die Dachziegel. Diese Farbzusammenstellung hatte dem Fürsten so gut auf der Burg des Königs in Vordingborg gefallen. Auch die Nebengebäude sind geräumig und für die jeweilige Aufgabe passend gebaut. Denn auch die Bediensteten sollen gute Bedingungen vorfinden.
Diese Curia liegt nahe der Wohnorte der Wenden der Stadt und der Vororte, am Wiecktor und auf dem Trebin, aber auch unweit des Hafens, nach Sonnenaufgang hin neben der Stadtmauer, die den ovalen Grundriss von Bard umschließt, und die an den meisten Stellen noch ein einfacher Palisadenzaun ist, nach Sonnenuntergang hin jedoch nur mit einem kleinen Flechtzaun begrenzt. Tore und Türen sind groß und gern geöffnet, wenn keine Gefahr droht. Was für ein Unterschied zur alten, dunklen, engen und abweisenden Burg vor der Stadt, die jetzt als Quelle für Baumaterial dient! Sowohl für den neuen Hof als auch für die Häuser der Bürger.

Auf der großen Festwiese zwischen fürstlichem Haus und der niedrigen Umfriedung herrscht heute früh geschäftiges Treiben. Eine Fläche wird abgesteckt und Sand darauf ausgebreitet. An einer anderen Stelle sind Ritterfrauen und Mägde damit beschäftigt, aus Stoffen, die ansonsten dieser Tage allerorten als bunte Wimpel an Girlanden hängen, kleine Fähnchen zu fertigen. Jedes muss unterschiedlich sein, aber rote, grüne, gelbe und blaue reichen bei weitem nicht aus. Deshalb werden die einfarbigen Wimpel in der Mitte durchgeschnitten und neu zusammengenäht, sodass es nun auch rot-blaue, grün-gelbe und all die anderen Fähnchen gibt. So können verschiedene Marken gesetzt werden, denn heute wird kein Tjost oder Buhurt stattfinden, sondern ein Wettkampf im Weitspringen.
Johanna za Zatela, Satkos Mutter, zu Margarete und all den anderen Frauen: „Dieses rote Fähnchen ist für unseren jungen Wislaw. Das seht ihr doch auch so?” „Ja, und Satko bekommt das blau-gelbe, wie eure Wappenfarben.” Darja Vyris nimmt sich das grüne Fähnchen: „Aber bei uns geht das leider nicht. Wir haben ja neben der grünen Schildfarbe und den drei Kleeblättern einen silbernen Pfahl, auf dem diese liegen. Aber weiße Wimpel gibt’s hier nicht. Hat jemand von euch etwas dagegen, wenn mein Pribe den grünen bekommt?” Anna de Gristowe: „Bei uns geht das mit den Farben auch nicht auf. Das Feld ist silbern und der Hirschkopf rot. Gelb und Rot passen da am besten für meinen Sohn.” Und nimmt sich das entsprechende Fähnchen und ein Stäbchen.
In diesem Moment kommt Daina mit einem großen Leinentuch und einem Korb mit Stickzeug. „Was bringst du denn mit?” „Ihr wisst doch, dass wir auch noch dieses Tuch besticken müssen.” „Und einen Ehrenkranz binden.” „Ja, es ist noch viel zu tun, aber für unsere Farbengeschichte haben wir jetzt die Lösung: Wir schneiden einfach etwas vom Rand ab.” „Reicht dann noch das Tuch?” Daina ist skeptisch. „Und welche Sorgen habt ihr denn mit den Farben?” Anna von Gristowe: „Wir benötigen noch Weiß. Wie viel werden überhaupt springen?” „Vierundzwanzig.” „Dann brauchen wir sowieso weißen Stoff. Ohne Weiß haben wir nur sechzehn Fähnchen. Dann kann Pribe Grün-Weiß bekommen und Johann Weiß-Rot. Und wenn wir dafür nur ganz wenig am Rand abschneiden, fällt das gar nicht auf.”
Darja hat schon die beiden Hälften ihres grün-weißen Wimpels zusammengenäht. Beim Aufziehen auf den Holzstiel verhakt sich etwas. Kurzerhand zieht sie einen Schläfenring aus ihrem brettchengewebten Stirnband und schiebt damit den Stoff nach. So ein Schmuck ist also nicht nur sehr schön, sondern auch noch nützlich.
„Was machen wir eigentlich mit Sambor, dem ’ewigen Zweiten’?” Sophia protestiert: „Lasst mal Sambor! Er hat seine Ecken und Kanten. Aber wer hat die nicht? Vielleicht können sich ja beide, Sambor und Wislaw, endlich bei diesem Wettkampf versöhnen. Freuen würde ich mich riesig darüber!” Margarete: „Geben wir ihm doch den rot-weißen Wimpel. Dann hat er die gleichen Farben wie sein Vetter Johann, nur andersherum.” „Das ist schön!”

Lassen wir mal die Frauen mit ihren Handarbeiten allein und gehen zur Sandgrube, die inzwischen fertiggestellt ist. Dort sitzt der Sänger Goldener mit Engelbrecht und Domarad zusammen, den beiden Merkern, die die Marken der Weitspringer setzen werden.
„Was machen wir eigentlich mit Wislaw, dem ’ewigen Ersten’, der das diesmal wohl nicht werden wird?” Engelbrecht blickt fragend in die Runde. „Durch seine Verletzung am Bein wird er nicht mehr so weit springen können, wie einst als junger Springinsfeld. Einfach traurig!” „Ja, was machen wir nur? Mir tut er auch leid. Es ist so ungerecht! Erst wird er niedergestochen und der Täter nicht mal belangt. Nun muss er sein Leben lang mit diesem Schicksal umgehen.” Domarad kommen fast die Tränen. „Er wäre ja beinahe gestorben, wenn nicht der Arzt, dessen Familie und seine Reisegefährten ihm so schnell und selbstlos geholfen hätten. Und dieser Verbrecher wollte ihm eigentlich noch etwas viel Schlimmeres antun. Hat mir Wislaw selbst erzählt.” „Wenigstens kann der sich nicht mehr im Rügenland blicken lassen. Seinen Laden in der Ossenreyerstrate haben jetzt Wenden, denen dieser neue Ratsherr - auch so ein übler Kerl - das vorenthalten wollte. Es gibt doch noch Gerechtigkeit!”
„Ich weiß es!” Domarad schlägt sich mit der Hand gegen die Stirn, sodass sein Hut nach hinten rutscht und nur durch die Schnur daran am Wegfliegen gehindert wird. „Wir schieben sein Fähnchen einfach etwas weiter vor, als er wirklich gesprungen ist. Das wäre nur gerecht.” „Nein, das wäre nicht rechtens! Da mache ich nicht mit”, protestiert Goldener.
Jetzt tritt lachend Daina mit ihrem Korb hinzu: „Hier habt ihr die Wimpel, damit es endlich losgehen kann. Den Ehrenkranz binden wir während des Wettkampfes, damit unsere Helden dadurch gleich zusätzlich angespornt werden. Und ich sage euch, das wird ein Kranz! Wäre letzte Woche nicht Satkos Dudelsack in diese Lache gefallen, als er, Wislaw, Sambor und dessen Knappe Pribe Vyris auf dem Cynxt einen stolzen Hirsch jagten, dann könnten wir nie einen so schönen Kranz flechten. Die weißgelbe, ölige Flüssigkeit darin hat sich als Mittel für einen wundervoll glänzenden Firnis erwiesen.”

Ach ja, das Leinentuch wird später bestickt, dazu muss den Frauen sowieso noch eine gute Geschichte einfallen, die sie darstellen wollen. Am besten etwas aus Wislaws Leben. Auch der Metallguss für Schmuck, Buchdeckelzierrat und Kinderspielzeug auf der Matrize des Meisters Godescalk aus Stralessunt muss noch warten. Die ist etwas ganz Neues, denn sie hat auf beiden Seiten Vertiefungen für die verschiedenen Figuren: große und kleine Broschen, Ringe, Vögel, thronende Damen und ihr sie anhimmelnder Minnesänger und schließlich ein großer Greif, Wislaws Wappentier.

Alles ist vorbereitet. Die vierundzwanzig jungen, nur mit ihren Bruchen bekleideten Herren, die ihre Kräfte messen wollen, finden sich ein. Magister Ungelarte und die zu Gast am Hof weilenden Sänger Frauenlob, Hermann von der Damen und Rumelant von Sachsen begleiten sie singend und musizierend, natürlich mit Wislaws neuestem Lied „Wohl auf, ihr stolzen Helden”, das er vorgestern zum Turnier erstmals vorgetragen hatte und nun den Menschen nicht mehr aus den Ohren geht, so schwungvoll ist die Melodie.
Und schon beginnt die erste von drei Runden. Doch was passiert da gerade? Alle springen zu kurz, viel zu kurz. Außer Wislaw. Die Ritterfrauen und all die anderen sind verständlicherweise empört und zeigen das auch durch Rufe und Pfiffe. Engelbrecht zu Domarad und umgekehrt: „Die springen doch alle absichtlich zu kurz.” „Das erspart uns wenigstens das Vorschieben von Wislaws Marke.” Doch da freuen sich die beiden Merker zu früh, denn in diesem Moment fassen sich Eufemia und Sophia bei den Händen und springen selbst auf die Bahn. „So geht das nicht! Wenn ihr nicht richtig springt, dann könnt ihr das alleine machen, dann gehen wir!” „So etwas wollen wir gar nicht sehen! Und einen Ehrenkranz gibt es auch nicht!”
Darja ruft den beiden Merkern zu: „Diese Runde vergessen wir ganz schnell, die zählt nicht!” Und zu den Springgenossen: „So, und ihr strengt euch gefälligst an! Was soll das?” Darauf Pribe: „Aber Liebes, wir wollen doch nur dem Wislaw helfen. Der hat’s schwerer als wir.” „Das ist keine Hilfe, Pribe! Auch Wislaw muss genau die gleichen Bedingungen haben, wie alle anderen.” „Ach Darusja, Liebes!” „Versuche es gar nicht erst auf diese Weise! Springe vernünftig, dann ist alles wieder gut!”
Eufemia: „Wir bleiben jetzt so lange hier, bis ihr euch besonnen habt!” „Ja, ja, wir geloben ab jetzt mit ganzer Kraft zu springen!” Domarad: „Alles nochmal auf Anfang! Das war nur eine Übungsrunde. So, und jetzt strengt sich jeder an!”

Die Weitspringer haben sich besonnen, denn ein jeder gibt ab jetzt sein Bestes und es macht ihnen auch sichtlich Spaß. Die Anerkennung durch die Frauen bleibt deshalb nicht aus. Wislaw sah man schon bei der nicht gewerteten Runde an, dass er sich unglaublich anstrengt. Seine Lippen presst er zusammen und versucht, hauptsächlich das linke Bein zu belasten und das rechte nicht unnötig nachzuziehen, damit dadurch kein Abdruck im Sand entsteht. Die Frauen feuern ihn an, auch die, die selbst ihre Söhne, Freunde und Männer auf der Bahn haben: „Wislawe, Wislawe, du sullst yn hawe!” Und zeigen dabei auf den Ehrenkranz, der noch in Arbeit ist. Der Angesprochene springt sehr gut. Auch das rechte Bein hat ihm keinen Streich gespielt. Früher sprang er natürlich weiter.
Wer sich aber nicht besonnen hat, das sind Domarad und Engelbrecht, denn sie schieben nun wirklich Wislaws Fähnchen weiter vor, als er gesprungen ist. Festgelegt ist, dass immer der kürzere Fersenabdruck markiert und nach jedem der drei Durchgänge mit dem Knotenseil des Baumeisters des Fürstenhofs ausgemessen wird. Engelbrecht setzt seine Marke jedoch an die Zehenspitze des Fußabdrucks, schaut sich verstohlen um. Niemand hat es mitbekommen? Dann schnell den Abdruck für den nächsten Springer verwischen! Doch, Goldener hat es gesehen: „Engelbrecht, so geht das nicht!” Dabei steckt er den Wimpel um Wislaws Fußlänge zurück. „Und beim Ausmessen am Ende der Runde zieht ihr die Schnur straff! Ich passe ganz genau auf!” Den beiden Merkern bleibt gar nichts anderes übrig. Nachdem alle fertig und die Marken ausgemessen sind, liegt Wislaw tatsächlich knapp vor seinem Bruder Sambor vorn.

Sophia hält vor Beginn der zweiten Runde den Kranz hoch: „Schaut, er ist fast fertig! Jetzt muss nur noch der Firnis aufgetragen werden.” Das Springen geht weiter. Darja: „So müsste es gut sein. Ich nehme nur ganz wenig auf den Pinsel. Nicht, dass am Ende das Band ganz durchsichtig wird. Es soll ja nur glänzen.” Anna: „Wie heißt eigentlich dieses Öl?” „Das wird noch keinen Namen haben. Sie haben es doch erst letzte Woche entdeckt.” Margarete: „War das nicht so eine Lache, wie die Wassertümpel dort? Und es kam doch aus der Erde?” Alle nicken. „Dann nennen wir es doch einfach Erdöl.” „Ja, das passt gut!”
Die zweite Runde verläuft fast wie die erste, nur dass es Wislaw sichtlich schwerer fällt. Hat er gar den Mut verloren und will aufgeben? Aber auch Sambor scheint Schwierigkeiten zu haben: „Uh, irgendwie muss ich mich gezerrt haben.” Trotzdem wird er diesmal erster, gefolgt von Thesdarc Norman.
„Wislawe, Wislawe, du sullst yn hawe!”

Dann gibt es ja noch zwei, die aus ihrer erhöhten Warte alles gut überblicken können. „Wo willst du hin, Witzlaw? Was soll denn das schon wieder werden?!” „Wir sind Greifen und müssen schnell eingreifen! Das wird doch wieder nichts mit Wislaw.” Und schon ist Witzlaw aus dem Nest entflogen und landet im nächsten Moment auf der Sprungbahn: „Wislaw, Wislaw, ohne mich gewinnst du den Ehrenkranz nie!” „He! Was soll das? Sofort runter von der Bahn!” rufen Engelbrecht und Domarad gleichzeitig. Der junge Ralik, der gerade zum Sprung ansetzen wollte, kann sich nicht mehr abbremsen und wirft sich auf die Wiese, um Haaresbreite einem Zusammenprall entgehend.
Wislaw ist als nächster dran und hat sich ebenfalls von diesem Schreck noch gar nicht richtig erholt, als Witzlaw laut kreischt: „Halte dich an meinen Löwenbeinen fest! Jetzt zeige ich dir, wie man springt!” „Witzlaw, komm sofort hoch! Sofort, sage ich! Du brütest jetzt! Keine Widerrede! Ich mache das mit Wislaw.” Witzlaw bleibt nichts anderes, als ’keine Widerrede’ übrig, und trollt sich ins Greifennest. Miroslawa landet sanft auf der Wiese, hebt und senkt entschuldigend zu den Umstehenden ihre Flügel und Fänge und spricht schließlich den immer noch verdutzten Prinzen an: „Wislaw, wir machen es so: Ich fliege los, wenn du zum Sprung ansetzt. Du schaust nur auf mich und versuchst mich im Sprung zu erhaschen. Aber komme ja nicht auf den Gedanken, dich an mir wirklich festzuhalten. Denn dann hast du gleich verloren.”
Vorher muss jedoch Ralik noch seinen Sprung wiederholen. Dann ist Wislaw auch zum dritten Mal dran. Und es gelingt nach Miroslawas Idee: Wislaw konzentriert sich ganz auf den Flug der Greifin und versucht ihr nachzueifern. Sich an ihr festzuhalten, dazu hätte er gar nicht die Möglichkeit, denn Miroslawa ist viel schneller und gewandter. Aber einen sehr, sehr guten Sprung hat er dadurch hingelegt!
„Wislawe, Wislawe, du sullst yn hawe!”

Als alle zum dritten Mal gesprungen sind und die beiden Merker alles mit dem Knotenseil ausgemessen hatten, steht fest: Sambor und Wislaw sind in der Gesamtwertung gleichauf an erster Stelle. Was machen wir nun? Diese Frage haben jetzt auch die Frauen mit ihrem Ehrenkranz. Anna: „Verdient hättest du ihn gar, Miroslawa, für deine Hilfe für Wislaw.” „Lasst mal, das habe ich doch gern gemacht! Viel wichtiger ist es, dass die beiden Brüder lernen, damit umzugehen.” „Das ist es!”, ruft Daina. „Beide bekommen den Kranz. Mal sehen, was sie daraus machen?”
So geschieht es. Eufemia reicht ihn den Siegern mit den Worten: „Ihr wart beide gleich gut, und so sollt ihr auch gemeinsam den Ehrenkranz erhalten.” Sambor: „Mein Schwesterlein, dein Wunsch und der deiner Freundinnen soll aber auch in Erfüllung gehen: Wislaw soll den Kranz tragen - zumindest heute.” Und lachend beim Bekränzen: „Bruderherz, denke aber immer daran, dass beim Tjost vor zwei Tagen meine Lanze an deinem Schild gesplittert ist. Du hast meinen dagegen verfehlt.”
„Wislawe, Wislawe, du sullst yn hawe!”

Die Minnesänger am Fürstenhof zu Rujana

Hier seht ihr sprichwörtliche rujanische Gastfreundschaft: Die Knappen Pribe Vyris und Satko za Zatela rollen vor dem Fürsten auf seinem Thron dem jeweiligen Sänger den Teppich aus. Wislaw der Junge hält sich bescheiden im Hintergrund und legt seinem Bruder brüderlich die Hand auf den Arm. Sein Vetter Johann von Gristowe freut sich über seine ersten Erfolge im Flötenspiel.

Der Tag ist noch lange nicht vorbei. Nach dem Abendschmaus folgt ein weiterer Wettstreit. Oder besser gesagt: Jemand wollte glänzen und hatte nicht damit gerechnet, dass er herausgefordert würde, und das auch noch von dem, von dem er es am wenigsten erwartet hatte. Wie dem auch sei, Heinrich von Meißen hatte schon lang und breit allen Leuten kundgetan, dass er, der berühmte Frauenlob, heute den jungen Wislaw lobpreisen möchte. Und ja, es ist ein kunstvoller Gesang mit ebenso kunstvollem Fiedelspiel:

„Greif zu, Herz, und hilf den Sinnen, ein Lob zu schmieden,
das allen Gliedern
der Kunst sei ein gutes Lenken.
Dem ich dies Lob will schenken,
der nimmt es, will ich meinen, wie von guten Getränken,
obwohl ihm ein Pokal reiner Wein für wertes Lob nicht schmeckt.
Wenn er Unrecht sieht, färbt ihn der Zorn wie Drachengeblüt.
Ein Engelsgemüt
hat er bei guten Werken.
Seine Tugend lässt er stärken,
so sehr, dass kein Mensch an ihm kann Laster bemerken.
Daher wird sein Lob von fahrend’ Sängern breit und lang gestreckt.
Sein blühender Ruhm mich dazu ermannt,
dass ich der Menge geb’ bekannt,
wie er genannt
sei, dem gesandt
dies Lob, ist Herr in diesem Land:
Das ist, dies sei mein Treuepfand,
der junge Herr Wislaw von Rügen, dem all das in ihm steckt.”

Am Beifall wird nicht gespart, denn vieles daran ist nicht nur das, was man von einem Fürstenlob erwarten kann, sondern trifft auch auf Wislaw zu. Die Erwähnung des „Drachenblutes” kommt nicht von ungefähr.
Margarete lässt sich nicht so schnell in oberflächliche Begeisterung versetzen - und gerade dafür mag Wislaw sie so sehr: „Meister Frauenlob, Ihr habt einen schönen Spruch vorgetragen. Aber warum so, wie soll ich sagen, geblümt? ... Ja, das ist das richtige Wort dafür.” „Hochedle Dame, ich war in welschen Landen, in Burgund, und da sind solche Worte die neueste Mode.” Jetzt muss die Prinzessin laut loslachen: „Was? Ihr wart wohl am Hof des reichen Ludwig?” „Mit Verlaub, Prinzessin, Ihr kennt Herzog Ludwig?” „Oh ja, nur allzu gut! Jetzt sagt bitte nicht, dass Ihr auch noch in Ponte ... Ponte ..., na egal, wart?” „Nein, das nicht. Aber der Fürst von Ponte Tevere war ebenfalls am Hof in Dijon zu Gast.”
Margarete hat sichtlich Mühe, eine Bemerkung zu unterdrücken. Aber dann, ganz versöhnlich: „Meister Frauenlob, bleibt doch hier in den wendischen Landen, oder kommt einmal in die dänischen, dort, wo ich geboren wurde. Wir sind vielleicht etwas einfacher, aber wir haben viel Herz, sehr viel Herz. Das wird Euch guttun. Und wir sind auf andere Art modern.” Frauenlob, der ach so Selbstsichere, wird auf einmal ganz nachdenklich.
Aus dieser Nachdenklichkeit wird er von den Frauen herausgerissen, die die gute Stimmung vom Weitsprungwettstreit wieder aufleben lassen: „Jetzt wollen wir aber den jungen Sänger hören!” „Wo ist er denn?” „Ach, da kommt er ja!” „Nicht so schüchtern, junger Mann!”
Goldener würde am liebsten wieder umkehren. ’Worauf habe ich mich da nur eingelassen?’ Aber seine Sangesbrüder hatten ihn so eindringlich darin bestärkt. Oder eher überredet? ’Goldener, du musst einfach auftreten.’ ’Dein Preisspruch ist doch sehr gelungen.’ ’Zeige es mal dem eingebildeten Heinrich!’ Und so weiter. ’Was soll’s! Jetzt stehe ich hier. Augen zu und durch.’
Er zupft sein Psalterium und setzt an:

„Es wähnte ein Herr, der war jung,
er habe gesprungen einen Sprung,
so weit vor denen seiner Springgenossen.
Ich war einer, der da saß,
wo man der Herren Sprünge maß:
Je Sprung mit einer Marke abgeschlossen.
Ich sah, dass man’s nicht unterließ -
da man ihn sah, mit gutem Willen springen -
und seine Zielmarke weiter stieß
als er sprang, so müsste ihm der Sieg gelingen.
Nun dachte er wohl, er habe des Lobes so viel erjagt,
dass er danach sich nicht mehr wollte bemüh’n.
Seh’n es die Merker, so befürchte ich,
sie ziehen das Ziel zurück zu sich.
So würde sein Lob bei hohem Lobe verglüh’n.”

Während dieser Strophe möchten Domarad und Engelbrecht am liebsten im Boden des Palas versinken. Leider tut der sich nicht auf, aber Goldener schaut dafür zu ihnen, mit einem Blick, der besagt: Ihr habt es verstanden. Das ist gut so. Und jetzt den Kopf hoch!

„Im Ehrengarten war ein Kranz,
gewirkt, so fein und mit viel Glanz,
sodass er einem hohen Fürsten genügt.
Der wäre getreu, männlich und klug
und hätte hohen Adel genug.
So sollte er sein, dessen Haupt er schmückt.
Treue, Sanftmut und das Ehrgefühl
sind mit Fleiß in des Kranzes Borten gewerkt.
Die Güte und die Bescheidenheit viel
haben ihn mit glänzendem Firnis bestärkt.
Ich fragte die Ritterfrauen, wer ihn denn tragen sollte
durch seine Tugend. Sie sprachen ohne Schande:
’Das können wir dir sagen, sehr wohl,
wer ihn mit Ehren tragen soll:
Wislaw, der junge Held aus dem Rügenlande.’”

Der Sänger hat noch gar nicht sein Instrument ausklingen lassen, da erschallt schon: „Goldenære, Goldenære, du sullst han dy ere!” Der so Angesprochene ist ganz verdutzt: „Ihr lieben Frauen, euch gefällt mein Spruch? Darüber freue ich mich sehr. Und ich dachte schon ... Es ist ja mein erstes Fürstenlob ...” „Aber genauso muss doch ein solcher Spruch sein: Nicht nur loben, auch Hilfe geben, wenn etwas falsch gemacht wurde, oder wenn jemand verzagen will.”, meint nicht nur Agata Raleke, die Mutter des Springers, der beinah mit dem Greifen Witzlaw zusammengestoßen wäre.
„Goldenære, Goldenære, du sullst han dy ere!”
Wislaw lacht: „Na, diesem Wunsch kann ich mich nicht entziehen.” Und hebt dabei den Ehrenkranz von seinem Haupt hoch, schreitet damit auf Goldener zu und bekränzt ihn damit. Der Dank des Sängers geht dann im Gesang der Frauen unter: „Goldenære, Goldenære, du sullst han dy ere!”

Margarete sieht, wie sich Frauenlobs Augen fast schon erschrocken weiten. „Ihr scheint sehr getroffen zu sein, dass der junge Sänger den Kranz gewonnen hat?” „Herrin, das ist es nicht. Goldener hat ihn sich wahrlich verdient. Aber, dass Euer künftiger Gemahl den seinen weitergibt, hatte ich - verzeiht edle Frau - nicht erwartet.” „Ja, Meister, das ist es, was ich mit ’auf andere Art modern’ meinte.”

Alles über die Preissprüche der mit Wislaw befreundeten Sänger, aber auch einen Spruchton, der seinem Lehrmeister Magister Ungelarte zugeschrieben wird, findet ihr auf dieser Seite.

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